Geplant sind aber auch Schritte, um den Verbrauch fossiler Energien zu senken und von russischem Gas wegzukommen. Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP verhandelten die Nacht zum Donnerstag mehr als zehn Stunden lang durch, am Morgen stand die Einigung: Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen schnürt die Regierung ein milliardenschweres Paket, das den Menschen finanziell durch die Krise helfen soll.
Die Koalition war zuvor zunehmend unter Druck geraten: Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine habe die ohnehin angespannte Lage auf den Energiemärkten drastisch verschärft, heißt es im Beschlusspapier, das die Parteichefs am Vormittag präsentierten. Die stark steigenden Kosten für Strom, Lebensmittel, Heizung und Mobilität seien für viele zu einer großen Belastung geworden. Im Folgenden finden sich die Regelungen, die einen direkten Bezug zur Gestaltung der Verkehrs-, Wärme und Stromwende haben:
Günstiger Auto, Bus und Bahn fahren
Die Ampel-Koalition will für günstigere Spritpreise sorgen, indem sie die Energiesteuer auf Kraftstoffe befristet für drei Monate auf das europäische Mindestmaß absenkt. Das mache bei Benzin 30 Cent und bei Diesel 14 Cent pro Liter aus, rechnete Finanzminister Christian Lindner (FDP) vor. Die Regierung wolle auch ein Auge darauf haben, dass die Absenkung tatsächlich an die Verbraucher weitergegeben werde. Ein Tankrabatt, wie von Lindner zunächst vorgeschlagen, kommt dagegen genauso wenig wie ein generelles Tempolimit.
Überraschend entschied sich die Koalition auch, Tickets für Busse und Bahnen günstiger zu machen. Für 90 Tage soll bundesweit ein Ticket für 9 Euro pro Monat im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) angeboten werden. Der Bund will den Ländern das Geld dafür zur Verfügung stellen. „Wir machen Bus- und Bahnfahren so billig, wie es in Deutschland wahrscheinlich noch nie war“, sagte Grünen-Chefin Ricarda Lang. Wie das Ticket genau funktionieren soll und wann es kommt, ist aber offen – ebenso die Frage, wie man mit Inhabern von Monats- oder Jahreskarten umgeht.
Möglichst früherer Abschied von der Gasheizung
Ab dem Jahr 2024 sollen möglichst nur noch Heizungen neu eingebaut werden, die zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden – im Koalitionsvertrag war das bisher zum 1. Januar 2025 vorgesehen. Der Einbau von Gasheizungen wäre damit im Regelfall nicht mehr möglich. Es soll zudem der Rahmen dafür geschaffen werden, dass Eigentümer von Immobilien ihre über 20 Jahre alten Heizungsanlagen austauschen können. Darüber hinaus ist eine große Wärmepumpen-Offensive mit staatlicher Förderung geplant.
Ab 2023 soll im Wohnungsbau zudem der Effizienzstandard EH55 gelten. Energieeffizienz sei wichtig, um unabhängig zu werden vom russischen Präsidenten Wladimir Putin, sagte Lang. Verbraucherschützer begrüßten den Schritt im Grundsatz. Es sei aber „ärgerlich“, dass die Bundesregierung die Höhe der Unterstützung „völlig offengelassen“ habe, hieß es vom Verbraucherzentrale Bundesverband.
Mehr Rechte fürs Kartellamt bei Preissprüngen
Nach der Preisexplosion beim Sprit nimmt das Bundeskartellamt die Preise an Tankstellen näher unter die Lupe. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte von „Kriegsgewinnen“ und einer problematischen Machtposition der großen Tankstellenketten gesprochen. Nun will die Regierung alle Möglichkeiten prüfen, durch kartell- und wettbewerbsrechtliche Maßnahmen sicherzustellen, dass die Märkte funktionieren und sinkende Rohstoffpreise auch rascher als bislang an die Endverbraucher weitergegeben werden. Das Kartellamt soll in einem ersten Schritt Zugang zu mehr Daten bekommen.
Das Paket, zu dem weitere Maßnahmen wie eine Energiepauschale und weitere Einmalzahlungen für Familien und Sozialleistungsbezieher gehören, wird den Staat mehrere Mrd. € kosten – eine genaue Summe konnte Finanzminister Christian Lindner (FDP) am Donnerstag noch nicht nennen. Das hänge auch davon ab, wie viel zu den günstigeren Preisen getankt werde und wie viele Bürger die günstigeren Bahntickets kauften. Er gehe aber davon aus, dass die Größenordnung mit dem ersten Entlastungspaket vergleichbar sei. Im Februar hatte die Koalition ein Paket mit Abschaffung der EEG-Umlage, höherer Pendlerpauschale, Steuersenkungen und ersten Sofortzuschlägen geschnürt. Volumen: 16 Mrd. €.
BEE begrüßt verschärften Zeitplan für mehr Erneuerbare für die Wärmewende
Die neuen Entlastungen will Lindner über einen Ergänzungshaushalt finanzieren, den er vor dem Sommer ins Parlament einbringen will. Dann könnten auch Wirtschaftshilfen für Unternehmen dazukommen, die durch den Krieg in der Ukraine belastet seien, deutete der Finanzminister an. Die EU hat einen Beihilferahmen für Firmen beschlossen, der umfassende Hilfen ermöglicht.
Aus der Energiebranche kommt viel Zustimmung für das verabschiedete Paket. Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) lobt die konkreten Maßnahmen zur Beschleunigung der Wärmewende. „Wir begrüßen, dass die Novelle des Gebäude-Energie-Gesetzes (GEG) ab Januar 2023 den neuen Effizienzstandard 55 für alle Neubauten vorschreibt und alle ab 2024 in Betrieb genommenen Heizungen zu mindestens 65 Prozent aus erneuerbaren Energien betrieben werden sollen“, sagt BEE-Präsidentin Simone Peter. Auch eine Ausweitung der Förderungen für den Austausch von Gasheizungen hin zu effizienten und klimafreundlichen Wärmepumpen sei eine sinnvolle Maßnahme, um die Wärmewende zu beschleunigen.
„Im Hinblick auf das im Koalitionsvertrag bereits formulierte 50-Prozent-Ziel der Erneuerbaren Wärmeerzeugung begrüßen wir, dass im Entlastungspaket auch die Umstellung der Fernwärme auf 50 Prozent erneuerbare Energien bis zum Jahr 2030 konkret adressiert wird“, so Peter weiter. Der energieintensivste Bereich sei der Wärmesektor, bei dem die Effizienz erheblich zu steigern und die Abhängigkeit von Energieimporten „zeitnah zu beenden“ sei.
Aussetzung von Kohleausstieg und geplanten Stilllegungen „wenig sinnvoll“
Auch die Diversifizierung der Energiequellen sei in weiten Teilen zu begrüßen. Der Fokus auf die verstärkte Nutzung heimischer Potenziale von grünen Gasen sei ein wichtiger Schritt in Richtung Energieunabhängigkeit. „Auch die Flexibilisierung der Rückverstromung und die Nutzung von Biomasse für die Methanisierung und Einspeisung ins Gasnetz ist ein sinnvoller Schritt, um ungenutzte Potenziale kurzfristig zu nutzen.“ Wenig sinnvoll sei es dagegen, den Kohleausstieg und die geplanten Stilllegungen auszusetzen.
Für die Deutsche Energie-Agentur (dena) formulierte Geschäftsführer Andreas Kuhlmann die „ganz nachdrückliche“ Unterstützung für das klare Bekenntnis zur Energieeffizienz und die Ankündigung einer breiten Kampagne dazu. „Eine solchen Stakeholder-orientierte Kampagne, die sich an Haushalte und die Industrie richtet, werden wir mit allen Kräften unterstützen und sind dazu bereits im Austausch mit dem Bundeswirtschafts- und Klimaministerium.“ Das jetzt vorgestellte Maßnahmenpaket enthalte auch sehr weitreichende energiepolitische Weichenstellungen für den Wärmemarkt. „Es erfordert komplexe Regelungen für den Heizungssektor, die Fernwärmeregulierung und die zukünftige Nutzung von Biomasse.“ Die Bundesregierung nehme sich damit selbst in die Pflicht, rasch nach „konkreten und machbaren Pfaden und Perspektiven“ zu suchen, die in der Umsetzung einen intensiven Dialog erforderten.
Was noch fehle, sei ein „klarer Fokus auf die Skalierung von Innovationen“. Deutschland habe „großartige Start-ups, viel Innovationspotenzial und eine extrem engagierte Community“. Deren Aktivitäten müssten viel stärker als zuvor in den Vordergrund rücken.