Zu dieser Bewertung kommt der Think Tank Agora Energiewende, der hierzu ein „Inflationsbekämpfungspaket“ im Umfang von 92 Mrd. € vorschlägt. Das Paket soll Herstellungs- und Umsetzungskapazitäten für klimaneutrale Technologien deutlich ausweiten, bürokratische Hürden drastisch abbauen und eine sozialgerechte Förderung sowie die Absicherung von Investitionen finanzieren.
Eine neue Studie von Agora Energiewende zeige, dass sich ein solches Maßnahmenpaket durch die eingesparten Ausgaben für fossile Energieimporte vollständig selbst tragen würde. „Den erforderlichen Haushaltsmitteln stehen Einsparungen bei Öl- und Gasimporten in Höhe von 160 Mrd. € über einen Zeitraum von 15 Jahren gegenüber“, heißt es.
„Mit Energieeffizienz, erneuerbaren Energien und dem konsequenten Einstieg in die Kreislaufwirtschaft können wir fossile Energieimporte dauerhaft ersetzen und bezahlbare Energiepreise sichern“, sagt Simon Müller, Direktor Deutschland von Agora Energiewende. „Unser Maßnahmenpaket hat eine dreifache Wirkung – für Klimaschutz und Energiesicherheit und gegen die Inflation.“
Mit Investitionen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen beenden
Die bisherigen Politikmaßnahmen zielten überwiegend auf schnelle Entlastungen für Haushalte und Industrie ab – wie zuletzt auch die Vorschläge der Gas-Kommission. „Aktuell konzentriert sich die Bundesregierung auf das Krisenmanagement, um die kurzfristigen Folgen der fossilen Energiekrise über Entlastungspakete abzufedern. Angesichts der drastischen Preissteigerungen ist das richtig und wichtig. Um die fossile Energiekrise jedoch tatsächlich zu überwinden, müssen wir jetzt die Investitionen auf den Weg bringen, die unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen beenden“, betont Müller.
Für eine strukturelle Krisenbekämpfung sorgt laut Agora-Vorschlag ein Zusammenspiel von finanziellen Mitteln für klimaneutrale Technologien einerseits und dem Aufbau von Herstellungs- und Umsetzungskapazitäten sowie dem Abbau bürokratischer Hürden andererseits. Die Erweiterung der Umsetzungskapazitäten bei Herstellern, im Handwerk und bei Behörden erhöhe das Angebot an klimaneutralen Technologien und sei die Voraussetzung, um eine gesteigerte Nachfrage bedienen zu können. Der Abbau bürokratischer Hürden beschleunigt wiederum die Transformation und senkt die Kosten.
Durch die Kombination von Finanzmitteln und Politikinstrumenten würde ein massiver Hochlauf von erneuerbaren Energien, klimaneutraler Wärme, Energie- und Rohstoffeffizienz in der Energiewirtschaft, Industrie und Bauwirtschaft ermöglicht und der Verbrauch von fossilen Energien strukturell reduziert. In der Folge würden die Energiepreise in Deutschland wieder dauerhaft sinken. „Wir müssen jetzt alle Signale auf Transformation stellen. Damit wir die neue Dynamik auslösen, brauchen wir sowohl finanzielle Mittel, Umsetzungskapazitäten als auch regulatorische Klarheit“, sagt Müller.
15 Mrd. € zur Stärkung von Produktion, Fachkräften und Behörden
Das Agora-Paket veranschlagt 15 Mrd. €, um die Umsetzung – Herstellung, Fachkräfte und Behörden – der Energiewende zu stärken: Zwei Drittel des Betrags ist für den Aufbau von Fertigungskapazitäten für Windkraftanlagen, PV-Anlagen, Wärmepumpen, Wasserstoff-, Speicher- und Stromnetztechnologien in Europa vorgesehen. Ein Drittel zur Stärkung der Fachkräfte sowie Planungs- und Genehmigungsbehörden. Auf diese Weise wird die Umsetzung beschleunigt und Lieferketten werden abgesichert.
20 Mrd. € sollen in die Energiewirtschaft fließen, um Investitionen in erneuerbare Energien abzusichern, das Strom- und Wasserstoffnetz auszubauen, die Offshore-Industrie zu unterstützen und einen intelligenten Netzbetrieb sowie Flexibilitäten zu schaffen, etwa mit Zuschüssen für Smart-Meter Nachrüstungen oder dem Bau von regelbaren Kraftwerken. Zudem schlägt die Studie die Absicherung langfristiger Stromlieferverträge vor: Über die Einführung einer symmetrischen Marktprämie könne Anlagenbetreibern eine feste Einspeisevergütung garantiert werden, aber zugleich ab einem bestimmten Gewinn auch Rückzahlungen eingefordert werden. Ebenso sollen Flächen für Windkraft- und PV-Anlagen schneller gesichert und Antragsverfahren verkürzt werden.
30 Mrd. € sieht das Paket vor, um den Ausbau CO₂-freier Wärme in Häusern sozial gerecht voranzubringen: Die Mittel sollen in die Förderung von Sanierung und Heizungstausch, insbesondere für einkommensschwache Haushalte, in einen klimakompatiblen sozialen Wohnungsbau sowie für den Ausbau grüner Wärmenetze fließen. Auf regulatorischer Ebene sollen verbindliche Sanierungspfade und die zügige gesetzliche Festschreibung der 65-Prozent-Anforderung, nach der ab 2024 jede neue Heizung auf Basis von 65 Prozent erneuerbaren Energien betrieben werden muss, die Transformation im Wärmebereich beschleunigen.
Modernisierung der Industrie unter anderem mit Klimaschutzverträgen
15 Mrd. € sind für eine Modernisierung der Industrie gedacht. Hieraus soll ein Sonderförderprogramm für Investitionen in Wärmepumpen, Elektrodenkessel und Energieeffizienztechnologien, etwa zur Abwärmenutzung oder fortschrittliche Sortier- und Recyclingtechnologien bereitgestellt werden. Weitere Mittel werden zur Finanzierung von Klimaschutzverträgen für die Stahl-, Chemie und Zementindustrie veranschlagt, mit denen die Differenzkosten von klimafreundlicher gegenüber der CO₂-intensiven Produktion abgesichert werden. Zusätzlich sollte ein gesetzlicher Rahmen die industrielle Wärmewende unterstützen, indem etwa durch Quoten Absatzmärkte für klimafreundliche Grundstoffe geschaffen werden.
Ein weiterer Posten von 12 Mrd. € sieht das Maßnahmenpaket zur Inflationsbekämpfung für die Sicherung von Energieimporten vor und die Unterstützung der globalen Transformation vor: So soll der schnelle Hochlauf von grünen Wasserstoff-Importen finanziert und zugleich sollen internationale Klima- und Energiepartnerschaften gestärkt werden.
„Brauchen strategische Neuaufstellung für den Hochlauf von Zukunftstechnologien“
„Wir brauchen jetzt eine strategische Neuaufstellung für den Hochlauf von Zukunftstechnologien. Nur so sichern wir unseren Wirtschaftsstandort und führen das Land gestärkt in die neue Energiezukunft“, sagt Müller. „Jedes Windrad, jede PV-Anlage und jede Wärmepumpe bringt uns einen Schritt näher an die Unabhängigkeit von fossilen Energieimporten und stellt sicher, dass sich Deutschland und Europa als zentraler Markt für Zukunftstechnologien etablieren.“