Im Rahmen der zweiten Sonderanalyse im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums im Sommer 2022 hatten die Übertragungsnetzbetreiber die Empfehlung abgegeben, Lastreduktionspotenziale in der Industrie für die Systemstabilität nutzbar zu machen. In den vergangenen Monaten wurde ein solcher Prozess entwickelt und abgestimmt. Mit der Veröffentlichung zur sogenannten „Vorstufe zur Abschaltkaskade“ starten die Übertragungsnetzbetreiber nun die Vorbereitung des Prozesses.
In diesem können industrielle Großverbraucher melden, welche Lastreduktionspotenziale sie freiwillig zur Verfügung stellen, um damit mögliche kontrollierte Lastabschaltungen abzuwenden oder solche in ihrer Auswirkung möglichst klein zu halten. Der Vorteil für teilnehmende industrielle Großverbraucher besteht darin, dass sie drohende Abschaltungen besser antizipieren und ihre industriellen Prozesse darauf abstimmen können. „Dieses Instrument verringert das Risiko kontrollierter Lastabschaltungen wegen unzureichender Stromerzeugung für die Allgemeinheit weiter“, heißt es.
Die vier Übertragungsnetzbetreiber haben auf ihren Internetseiten das Meldeformular für die Industrieunternehmen freigeschaltet. Industrielle Großverbraucher können dort bei Bedarf angeben, welche Verbräuche sie freiwillig absenken würden und wieviel Vorlauf sie dafür brauchen, damit Schäden oder Einschränkungen in den Anlagen vermieden werden können.
„Teile der deutschen energieintensiven Industrie sind bereit, in Engpasssituationen verfügbare Flexibilitätspotenziale in diesem Winter im Falle kritischer Lastsituationen freiwillig bereit zu stellen, um die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa im Winter 2022/2023 zu unterstützen“, erklärte Christian Seyfert, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK). Nötig sei allerdings eine angemessene Entschädigung, beispielsweise für Produktionsausfälle.
VIK wünscht sich Nachfolgeregelung für AbLaV
Aus Sicht des VIK sei im vergangenen Jahr versäumt worden, zusätzlich zu den Erzeugungskapazitäten ebenfalls marktbasierte Maßnahmen zur Stromsystemstützung, wie die Verordnung zu abschaltbaren Lasten (AbLaV), wieder in Kraft treten zu lassen bzw. zu erneuern. Die AbLaV ist im Juni 2022 ausgelaufen, „eine Nachfolgeregelung lässt auf sich warten“, so der Verband. „Vor diesem Hintergrund erachten wir es als notwendig, die Abschaltbare-Lasten-Verordnung für eine begrenzte Zeit wieder einzuführen und – als marktliche Maßnahme zur Unterstützung der Systemstabilität – so zu reformieren, dass sie weiterhin den Erfordernissen der ÜNB gerecht und zugleich eine vermehrte Teilnahme interessierter Unternehmen angereizt wird“, sagt Seyfert.
Bis die AbLaV verlängert bzw. eine Nachfolgeregelung in Kraft sei, sollten seitens der ÜNB bilaterale Vereinbarungen mit geeigneten Anbietern (ehemalige AbLaV-Anbieter und weitere geeignete Unternehmen) getroffen werden, damit entsprechende systemstabilisierende Leistungen ermöglicht werden.
Industrie bietet Teilnahme an der Vorstufe zur Abschalt-Kaskade an
„Parallel“ zu dieser Maßnahme unterstütze der VIK für diesen Winter zur kurzfristigen Überbrückung die von den ÜNB kommunizierte Einführung einer „Vorstufe“ zur Abschalt-Kaskade. Die Kaskade selbst sieht vor, dass bei einer Lastunterdeckung ganze Netzbezirke unterhalb der Höchstspannungsebene inklusive industrieller Letztverbraucher innerhalb von 12 Minuten komplett ferngesteuert abgeschaltet werden können. „Das könnte gravierende Folgen haben“, heißt es beim Verband.