Die aktuelle Situation belaste und gefährde sowohl Energiewende und Klimaschutz als auch die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen, heißt es in dem unter anderem vom DIHK, dem Bundesverband Neue Energiewirtschaft (bne) und dem BSW-Solar gezeichneten Papier. „Es besteht bereits jetzt aufgrund des Schwebezustands eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Fällt der Status Kundenanlage, droht eine Welle an unabsehbaren Bürokratiepflichten, die volkswirtschaftlich keinerlei Mehrwert brächten und das Ziel der Entbürokratisierung konterkarieren.
Verbände: Regierung sollte rasch „Runden Tisch“ zur Kundenanlage einrichten
Die Bundesregierung sollte rasch einen Runden Tisch zur Kundenanlage einrichten, um gemeinsam Lösungsmöglichkeiten auch mit Blick auf die europäische Ebene zu besprechen, fordert die Verbände. Die Bundesnetzagentur sollte für den derzeitigen Schwebezustand klarstellen, dass Neuanschlüssen von Kundenanlagen nichts im Wege steht, sofern sie den aktuell geltenden Regelungen des EnWG Genüge tun.
Die Bundesregierung sollte zudem so schnell wie möglich eine Lösung finden, die die etablierte Praxis rechtlich absichert, ohne dabei die Möglichkeiten der Anschlussnutzer innerhalb der Kundenanlage auf freie Lieferantenwahl einzuschränken. Dabei sollte die aktuelle Rechtslage nicht ohne Folgenabschätzungen geändert werden.
„Schätzen Zahl der betroffenen Anlagen im sechsstelligen Bereich“
Die konkrete Anzahl an Kundenanlagen ist bislang an keiner Stelle erfasst, da der Status auf einer Selbsteinschätzung beruht, geben die Verbände zu bedenken. „Wir schätzen, dass die Zahl im sechsstelligen Bereich liegt.“ In der Wohnungswirtschaft wären im Grunde alle Modelle nicht mehr wirtschaftlich, bei denen Strom lokal erzeugt und an Mieter und Miteigentümer geliefert wird. „Jede Hausverteileranlage könnte ohne Klarstellung als reguliertes Verteilnetz zu bewerten sein. Das hätte zur Folge, dass die Strompreise deutlich steigen würden.“ Damit würden die Bewohner von Mehrfamilienhäusern gegenüber Einfamilienhäusern benachteiligt und die Partizipation in Mehrfamilienhäusern an der Energiewende geschwächt, die politisch gewünscht ist und gerade erst durch Reformen der Mieterstrommodelle verbessert wurde.
Wirtschaftsimmobilien wie Einkaufzentren, Supermärkte, Logistikzentren, Rechenzentren oder Bürogebäude benötigen den Status als Kundenanlagen, da die interne Stromverteilstrukturen Dritte wie Bäckereien, Mobilfunkmasten oder Fremdbüros mitversorgen. „Hier drohen erhebliche Mehrkosten und die Objektversorgung durch Investitionen in Solaranlagen oder Wärmepumpen steht in Frage.“
Mieterstrom, Wirtschaftsimmobilien, Industrie: Breite Betroffenheit
In der Industrie seien Kundenanlagen der Standard. Diese dienten sowohl der Eigenversorgung als auch der Versorgung von Dritten. Dritte könnren dabei Schwesterunternehmen, Kantinen, Dienstleister oder andere Industriebetriebe sein, die sich mit auf dem Gelände befinden. „Die Industrie benötigt den Status der Kundenanlage weiterhin, da ein regulierter Netzbetrieb Unternehmen sowohl aus der Großindustrie als auch aus dem Mittelstand überfordern würde.“ Dies resultiere aus den regulatorischen Anforderungen. Allein der Einbau der notwendigen Messinfrastruktur würde schnell zu Kosten in Millionenhöhe führen. Hinzu kämen nicht kalkulierbare Mehrkosten für zusätzliches Personal. „Die Wettbewerbsfähigkeit vieler tausend Industriebetriebe dürfte in Frage stehen“, warnen die Verbände.
Auch in zahlreichen anderen Bereichen sind Kundenanlagen üblich, wie z.B. bei kommunalen Gebäuden, öffentlichen Einrichtungen und Quartieren sowie generell bei Quartierskonzepten u. a. mit Wohnungseigentümergemeinschaften auch in Form von Einfamilienhäusern. Hier drohten dieselben Konsequenzen wie bei der Wohnungswirtschaft, Wirtschaftsimmobilien und der Industrie.
Enorme Mehrkosten im Milliardenbereich durch Regulierungsanforderungen erwartet
Sollten die Gerichtsurteile eine Wirkung in den Bestand entfalten, würden enorme Mehrkosten im Milliardenbereich durch Regulierungsanforderungen, ggf. Netzentgelte und den damit einhergehenden Bürokratieaufwänden vertraglichen Änderungen, neuen Messeinrichtungen sowie Netzumlagen einhergehen. „Die Aufwände für Netzbetreiberpflichten würden sprunghaft steigen, ohne dass dadurch ein volkswirtschaftlicher Mehrwert entsteht.“ Gleichzeitig würde der Netzbetrieb künstlich in Branchen ausgeweitet, deren Kernwertschöpfung und Expertise in ganz anderen Feldern liegt.
Die damit einhergehende Unsicherheit strahle bereits in den Markt aus. Einzelne Netzbetreiber verweigerten z. B. Neuanschlüsse von Kundenanlagen, ohne dass es dafür eine Rechtsgrundlage gebe. „Unser Appell: Um erheblichen Schaden von Unternehmen und Energiewende abzuwenden, ist eine gesetzliche Lösung auf EU- und Bundesebene notwendig, die mit Augenmaß den europäischen Regulierungszusammenhang berücksichtigt“, fassen die Verbände ihren Appell zusammen. Die Möglichkeit bestimmte, nicht markterhebliche, Infrastrukturen so wie bisher zu belassen, sei für den Wirtschaftsstandort Deutschland „unerlässlich“.