DLR und IER: Drohende Leistungslücken ab 2020 erfordern Einsatz der Kapazitätsreserven


Bei ungünstigen Entwicklungen könnte dem Strommarkt in Deutschland 2020 für begrenzte Zeiträume Erzeugungsleistung von bis zu 8,8 GW fehlen. Diese Lücke würde zu Versorgungsengpässen führen, die nur durch die Aktivierung von Reservekapazitäten zu verhindern wären. Möglich sei dann im Extremfall eine Preissteigerung von durchschnittlich rund 90 Euro pro MWh.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Simulationsuntersuchung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und des Instituts für Energiewirtschaft und rationelle Energieanwendung (IER) im Auftrag des baden-württembergischen Umweltministeriums, die sowohl ein pessimistisches als auch ein optimistisches Szenario betrachtet. Beide Simulationen sind Teil eines jetzt veröffentlichten Gutachtens „Szenarien der Versorgungssicherheit in Deutschland und Süddeutschland“. Das Gutachten ist die Fortschreibung einer Expertise von DLR und IER aus dem Jahr 2014 (EUWID 39/2014).

Im pessimistischen Szenario ergibt sich im Jahr 2020 für Deutschland neben der maximalen Leistungslücke von 8,8 GW eine mittlere in Höhe von 1,36 GW. Das Maximum ergibt sich im Wetterjahr 2012 (wenig europäischer Ausgleich). Für ein Lastjahr mit besserem innereuropäischem Ausgleich reduziert sich die maximale Lücke auf 4,4 GW und die mittlere Lücke auf 0,85 GW. Die Anzahl der Stunden mit Unterdeckung beträgt für Deutschland im Mittel 279 Stunden, bei einer Spanne von 139 bis 453 Stunden. Zumindest ein Teil der Reserven würde anschließend zum Einsatz kommen. Insgesamt ergibt sich eine Lastausgleichswahrscheinlichkeit von deutlich unter 99 Prozent, ohne die Berücksichtigung von Reserven.

Unter optimistischen Bedingungen ist in Deutschland im Mittel im Jahr 2025 eine Lücke von knapp über ein GW zu erwarten, die je nach Wetter- und Lastjahr auf maximal 3,3 GW ansteigen kann. Die erwarteten Stunden mit Unterdeckung sind deutlich geringer als im pessimistischen Szenario und liegen im Mittel bei 59 Stunden mit einer Spanne von einer bis 178 Stunden. Insgesamt ergibt sich eine Lastausgleichswahrscheinlichkeit von 99,33 Prozent.  

Die Ergebnisse des ersten DLR/IER Gutachtens werden den Angaben zufolge grundsätzlich bestätigt. Eine wahrscheinlichkeitstheoretische Betrachtung, wie sie Gutachter des Bundeswirtschaftsministeriums vorgenommen hätten, führe nicht zu einer grundlegend anderen Bewertung der Versorgungssicherheitssituation.

Zwar sei wegen der von der Bundesregierung vorgesehenen Kapazitätsreserve sowie der Sicherheitsbereitschaft generell nicht mit Problemen bei der Stromversorgung zu rechnen, fasst der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) die Studie zusammen. Allerdings zeichne sich auch ab, dass die Reserven und Sicherheiten auch in Form älterer Kohlekraftwerke wohl massiv zum Einsatz kommen werden: „Das bedeutet in der Preisspitze 3.000 € pro MWh, also rund 100 Mal mehr als der aktuelle Normalpreis an der Börse“. Man müsse kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass diese Spitzenpreise am Ende von allen Verbrauchern bezahlt werden müssten, auch von den Privathaushalten, so der Minister: „Das Gutachten zeigt erneut, dass wir politische Anreize brauchen, um neue kosteneffiziente und klimaschonende Erzeugungskapazitäten in den Markt zu bringen.“ Er schlägt vor, über Mechanismen nachzudenken, wie neue Kapazitäten in den Markt kommen, die die vorhersehbaren Leistungslücken vermeiden helfen und die zugleich das Klima schonen.