Die Energiewende in den 7 Städten Leipzig, München und Hannover sowie Berlin, Hamburg, Kiel und Flensburg hat die MBI-Publikation Energy Daily kürzlich vorgestellt.
In Leipzig und München haben die Stadtwerke aktuell wichtige Entscheidungen über die langfristige Nutzung der Kohlekraft und die Wärmeversorgung getroffen. Der Aufsichtsrat der Stadtholding LVV Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft hat in der ersten Juli-Woche entschieden, bis Ende September 2023 den Vertrag mit Leag über den Energiebezug aus dem Braunkohlekraftwerk Lippendorf zu beenden und ein neues, eigenes Gaskraftwerk bis Ende 2022 ans Netz zu bringen.
„Beim Genehmigungsverfahren für das Kraftwerk sind wir auf die Unterstützung der Genehmigungsbehörden angewiesen“, erklärte der LVV-Aufsichtsratsvorsitzende und Oberbürgermeister Leipzigs, Burkhard Jung.
Stadtwerke Leipzig bauen neues Gaskraftwerk
Das endgültige Datum für die Inbetriebnahme des Gaskraftwerks mit einer Leistung von bis zu 250 MW steht daher noch nicht fest. Als „günstigsten Zeitpunkt“ für den Ausstieg aus der Fernwärmeversorgung mit Braunkohle nannte Jung „das Jahr 2022“.
Die LVV-Energietochter Stadtwerke Leipzig soll zudem ein neues Biomassekraftwerk errichten. Langfristig ab Mitte der 2020er Jahre sollen auch Solarthermie und Speicherkapazitäten das Fernwärmekonzept der Leipziger abrunden. Dafür nimmt das kommunale Unternehmen rund 300 Mio. € in die Hand. Die Leipziger wollen zum einen den Klimaschutz in der Stadt voranbringen, gleichzeitig aber auch unabhängig vom benachbarten Kohlekraftwerk in Lippendorf werden.
Münchens Kohleanlage als systemrelevant eingestuft
In München wird es hingegen schwieriger, frühzeitig bis Ende 2022 aus der Kohle auszusteigen und damit den Willen des Bürgerentscheids in der bayerischen Landeshauptstadt umzusetzen. Denn das zur Disposition stehende Heizkraftwerk (HKW) Nord mit einer Leistung von 420 MW wird laut der Betreiberin Stadtwerke München (SWM) als systemrelevant eingestuft werden und müsste in diesem Fall als Reservekraftwerk bereitgehalten werden. Der Übertragungsnetzbetreiber Tennet habe den SWM mitgeteilt, dass die Stilllegungsanzeige für das HKW Nord zum 31. Dezember 2021 von der Bundesnetzagentur nicht genehmigt werde. Aufgrund der Systemrelevanz soll die Anlage noch bis mindestens 2028 laufen.
Da es bislang keine Alternativen für die Wärmeversorgung gibt und der Bau eines Gaskraftwerks abgelehnt wurde, sei der Kohleausstieg frühzeitig nicht realisierbar, teilten die Stadtwerke München jetzt mit. Ausschlaggebend dafür, wann der Kohleblock in München letztlich abgeschaltet werden darf, sei auch die Gesetzgebung zum bundesweiten Kohleausstieg. „Wir haben in den Diskussionen um Nord 2 immer wieder darauf hingewiesen, dass eine ganz kurzfristige Abschaltung nicht umsetzbar ist“, betonte SWM-Chef Florian Bieberbach.
Die SWM wollen daher einen alternativen Ausstiegsplan für die Kohlekraft realisieren. Der Kohleeinsatz soll demnach schrittweise ab 2025 verringert werden. Münchens Bürger hatten in einem Volksbegehren 2017 entschieden, dass das HKW Nord 2022 abgeschaltet werden soll. Davor war ein längerfristiger Plan der SWM abgelehnt worden: Mit der „Fernwärmevision“ wollte der kommunale Energieversorger selbst den Ausstieg aus der Steinkohle einleiten und bis 2035 den Kohleblock auslaufen lassen.
Die Münchner Bürgerinitiative „Raus aus der Steinkohle“ sieht das anders. Ein Ausstieg aus der Kohlekraft wie im Bürgerentscheid vorgesehen sei möglich. Das Kohlekraftwerk könne und müsse bis Ende 2022 außer Betrieb gehen, forderte das Bündnis aus 70 Organisationen. Denn eine weitestgehende Außerbetriebnahme des Kohleblocks sei mit fast vollständiger Vermeidung der CO2-Emissionen auch in der „Netzreserve“ möglich, in die systemrelevante Kraftwerke verschoben werden könnten.
Enercity in Hannover unter Druck
Auch die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover strebt einen Ausstieg aus der Kohlekraft bis 2038 an. Jedoch steht der dortige kommunale Regionalversorger Enercity unter Druck, schon vorher die Kohleverstromung zu beenden.
Unterdessen kommt die Wärmewende hin zu „grüner Fernwärme“ für Hannover gut voran. Unklar ist aber, wann das alte Kohlekraftwerk Mehrum mit 690 MW, das Enercity (Stadtwerke Hannover) 2017 dem tschechischen Investor EPH verkauft hat, endgültig vom Netz gehen wird. Es könnte zu den ersten gehören, die im Zuge des geplanten bundesweiten Kohleausstiegs abgeschaltet werden müssen.
Dagegen ging das Enercity-Management bislang davon aus, dass das Gemeinschaftskraftwerk Stöcken (230 MW elektrische und 425 MW thermische Leistung) weit hinten auf der bundesweiten Rangfolge der stillzulegenden Kohlemeiler steht. Die Kraft-Wärme-Kopplungsanlage dient vor allem als Stromlieferant für VW Nutzfahrzeuge und Continental. Anscheinend will der Automobilbauer Volkswagen für seine Nutzfahrzeuge-Produktion in Zukunft keinen Strom mehr aus fossilen Kraftwerken, vor allem um seine eigene CO2-Bilanz langfristig auch zu verbessern.
Enercity-Chefin Susanna Zapreva kündigte auf der Bilanzpressekonferenz im Mai ein Konzept an, wie das Kohlekraftwerk auf saubere Energie umgestellt werden kann. Einfach vom Netz nehmen könne man Stöcken nicht, weil die KWK-Anlage für die Wärmeversorgung gebraucht werde. Als mögliche Variante denkt Zapreva an eine Umrüstung auf Biomasse, Erdgas komme als Alternative nicht in Frage.
Darüber hinaus will der Energieversorger aus Hannover bis zum Jahr 2035 die Hälfte seiner Fernwärmeproduktion aus erneuerbaren Energien gewinnen. „Mit der neuen Strategie wird die Fernwärme in Hannover grüner“, so Zapreva. Bei der Präsentation der künftigen Fernwärmestrategie wollte man sich schon 2017 auf einen Kohleausstieg in Deutschland vorbereiten. Für die Wärmeversorgung der Kunden nutze Enercity zunehmend industriell-gewerbliche Abwärme, Biomassebrennstoffe, Wärmepumpen oder auch Solarthermie.
Als konkrete Option in Hannover steht die Abwärmenutzung aus der Müllverbrennungsanlage EEW in Lahe zur Verfügung. Um die Anlage nutzen zu können, baut Enercity derzeit eine neue Fernwärmeleitung. Nach deren Fertigstellung - geplant war zur Heizperiode 2019/20 - könnten bis zu 300 Gwh Wärmeenergie bzw. 25 Prozent der in Hannover benötigten Fernwärme auf dieser Basis gewonnen werden.
Berlin sucht nach Alternativen für die Fernwärmeversorgung nach 2030
In Berlin hat der Senat mit dem Energiewendegesetz die Grundlagen dafür geschaffen, in Hamburg hat die Bürgerschaft den Kohleausstieg bis 2030 besiegelt. Beide Städte sind auf die Mitwirkung des Stromkonzerns Vattenfall angewiesen. In Kiel und Flensburg stellen die Stadtwerke von der Kohle auf Gas um. Vor der größten Herausforderung steht zweifelsohne Berlin. Die Bundeshauptstadt braucht alternative Lösungen für die Fernwärmeversorgung.
Das Fernwärmenetz gilt als eines der größten Westeuropas. Vattenfall und die Berliner Senatsverwaltung haben eine Machbarkeitsstudie darüber in Auftrag gegeben, wie der Steinkohleausstieg spätestens bis zum Jahr 2030 realisiert werden kann. Betroffen sind die Heizkraftwerke Reuter West und Moabit. Für den ebenfalls mit Kohle befeuerten Block Reuter C ist der Ausstieg bereits für 2020 beschlossen.
Die vom Aachener Beratungs- und Planungsbüro BET durchgeführte Machbarkeitsstudie berücksichtigt den Zeitraum bis zum Jahr 2050. Über einen Technologiemix soll eine weitgehend CO2-freie Fernwärmeversorgung gesichert werden. Potenzielle Energielieferanten sind Biomasse, Solarthermie, Großwärmepumpen, Geothermie sowie Industrielle Abwärme und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) auf Basis von Erdgas.
Die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie sollen im Herbst vorliegen. Der Zwischenstand der BET-Studie zeigt aber, dass der Kohleausstieg für Berlin langwierig und teuer werden könnte. Christoph Koch, Leiter der Portfolioplanung bei Vattenfall Wärme Berlin, sieht vor allem in der Nutzung industrieller Abwärme großes Potenzial. Davon gibt es laut BET jedoch zu wenig in Berlin. Der Aufbau der Erzeugungsanlagen und die Modernisierung der Netze dürften mehrere Milliarden Euro kosten.
Hamburger Kraftwerk Moorburg wird wohl weiterlaufen
Auch die Bürgerschaft in Hamburg hat mit der Initiative „Tschüss Kohle“ eine Einigung über den Kohleausstieg bis zum Jahr 2030 getroffen. Aber: Das Ende für die Kohle betrifft nur die Wärmeerzeugung. Für die Stromerzeugung dürfte das Kohlekraftwerk Moorburg auch nach 2030 weiterlaufen. Nach dem Volksentscheid von 2013 wird das Hamburger Fernwärmenetz zurzeit vom Energiekonzern Vattenfall an die Stadt übertragen. Damit erwirbt die Stadt auch die Kohlekraftwerke Wedel und Tiefstack und kann über deren Abschaltung bzw Umrüstung frei entscheiden.
Sobald der Rückkauf der Fernwärmenetze abgeschlossen ist, sollen erneuerbare Energien, Abwärme und Erdgas die Heizkraftwerke Wedel und Tiefstack ersetzen. Für Wedel läuft bereits die Planungsphase, es soll voraussichtlich 2025 vom Netz gehen. Für Tiefstack sollen Ideen entwickelt werden, wie die bisherige Wärmeleistung möglichst nicht allein durch Gas ersetz werden kann, sondern auch andere Energiequellen miteinschließt.
Die Bürgerinitiative hatte zunächst den Kohleausstieg bis 2025 in Hamburg gefordert. Nun aber führe Hamburg den Klimaschutz und die Unterstützung der Pariser Klimaziele als Staatsziel ein und sei verpflichtet, die Kohleverbrennung so schnell und so weit wie möglich zu vermeiden. „Wir haben viel mehr erreicht als nur ein Enddatum für die Kohlewärme“, sagte Wiebke Hansen von „Tschüss Kohle“.
Die Kohleverstromung hingegen wird in der Einigung und im Gesetzesvorhaben nicht geregelt, weil Hamburg überwiegend vom Steinkohlekraftwerk Moorburg mit Strom versorgt wird. Das Kraftwerk mit einer Gesamtleistung von 1.600 MW gehört nämlich Vattenfall und ging erst 2015 in Betrieb. Ob der Energieversorger die Anlage mit einem Investitionsvolumen von rund 2,8 Mrd. € frühzeitig schon 2023 abschaltet, ist fraglich. Vattenfall prüft jedenfalls, ob Moorburg auf weniger klimaschädliches Gas umzustellen ist und schließt auch einen Verkauf des Kraftwerks nicht aus.
Kiel: Ende 2022 wird weitere KWK-Anlage auf Gasbasis fertiggestellt
Schneller schreiten die beiden schleswig-holsteinischen Städte Kiel und Flensburg mit dem Kohleausstieg voran. Das neue, auf Erdgas basierte Küstenkraftwerk Kiel sollte eigentlich schon in diesem Frühjahr in Betrieb gehen und das kohlebasierte Gemeinschaftskraftwerk (GKK) ersetzen. „Das Küstenkraftwerk der Stadtwerke Kiel wird voraussichtlich Ende des Jahres in Betrieb gehen“, sagte ein Unternehmenssprecher auf Anfrage von MBI Energy Daily. Das kohlebetriebene GKK sei hingegen schon zum 31. März 2019 stillgelegt worden. Die Verzögerung des Küstenkraftwerks begründete Technik-Vorstand Jörg Teupen mit technischen Problemen mit dem so genannten Rückkühler auf dem Dach des Kraftwerks. Mit der neuen Gasmotoren-Anlage senken die Kieler nach eigenen Angaben den CO2-Aussstoß um rund 70 Prozent.
Das neue Gasmotorenheizkraftwerk der Stadtwerke Kiel kostet etwa 290 Mio. € und verfügt über eine elektrische sowie thermische Leistung von jeweils 190 MW. „Das Küstenkraftwerk ist die wichtigste Investitionsentscheidung der Stadtwerke Kiel der letzten Jahrzehnte und wohl auch die wichtigste Entscheidung für die nächsten Jahrzehnte“, hatte der Aufsichtsratsvorsitzende der Stadtwerke, Georg Müller, erklärt.
Flensburg: Für 2022 weitere KWK-Anlage auf Gasbasis geplant
In Flensburg hat die Umstellung von Kohle auf Erdgas vor drei Jahren begonnen. Im April 2016 nahmen die Stadtwerke Flensburg ihr neues Gas- und Dampfturbinenkraftwerk (GuD) in Betrieb und schalteten dafür zwei alte Kohlekessel ab. Das Kraftwerk verfügt laut Unternehmen über eine elektrische und thermische Leistung von je 75 MW. Der kommunale Versorger investierte rund 128 Mio. € in die GuD-Anlage. Und Ende 2022 soll eine weitere Kraft-Wärme-Kopplungsanlage auf Gasbasis fertiggestellt werden. Die Ratsversammlung in Flensburg hat entschieden, dass das neue Gaskraftwerk „Kessel 13“ ebenfalls zwei ältere Kohlekessel vorzeitig ersetzen soll.
Ab 2023 wäre dann der Anteil der Kohle auf 20 Prozent reduziert, die CO2-Emission könnten bei gleicher Erzeugungsmenge um 40 Prozent heruntergefahren werden. Aufsichtsratschef Rolf Helgert sieht in der Entscheidung eine Weichenstellung für den endgültigen Umstieg von Kohle auf Gas und die erweiterte Nutzung erneuerbarer Energien in Flensburg. (MBI)