Berylls Strategy Advisors: Deutschland verliert bei Brennstoffzellenautos den Anschluss


Darauf weist Berylls Strategy Advisors aus München als Ergebnis einer Analyse hin. Das Beratungsunternehmen rechnet damit, dass im Jahr 2030 weltweit über eine Mio. Brennstoffzellenfahrzeuge (FCEV) abgesetzt werden können. Zum Vergleich: Um eine ähnlich große Zahl an FCEV in LKW auf die Straße zu bringen, müssten fast ein Drittel aller weltweit verkauften LKW auf Brennstoffzellen umgerüstet werden.


Eine Mio. FCEV weltweit seien realistisch, denn allein China habe sich dieses Ziel für 2030 gesetzt und leite derzeit den größten Teil der vorhandenen Mittel für sogenannte New Energy Vehicles (NEV) auf FCEV um. Die bessere Skalierbarkeit der Ladeinfrastruktur von Brennstoffzellen sei dabei in Chinas Megacitys der entscheidende Faktor. Toyota und Hyundai planen bis 2030 ebenfalls jeweils 500.000 FCEV zu produzieren. Zwar sei der PKW nicht die Brennstoffzellen-Anwendung der ersten Stunde, sehr wohl aber der zukünftige Volumenträger der Brennstoffzelltechnologie, schreibt Berylls Strategy Advisors. Damit drohe Deutschland ein weiteres Mal bei einer zu großen Teilen in Deutschland mitentwickelten Technologie den Anschluss zu verlieren.


Bisher geringe Nachfrage nach FCEV in Deutschland


Einst galt Deutschland als Vorreiter beim Thema Wasserstoff. Die Bundesregierung versucht – auch mit Mitteln des kürzlich verabschiedeten Konjunkturpakets zur Eindämmung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie – inzwischen verlorenes Territorium wiedergutzumachen. Sie verfolgt dabei die Strategie, die Brennstoffzelle vor allem im Fern- und Güterverkehr zu fördern, nicht jedoch bei PKW.


Mit Blick auf den Absatz von FCEV scheint die Bundesregierung mit dieser Strategie richtig zu liegen. Im Jahr 2019 waren lediglich drei Modelle verfügbar, von denen weltweit insgesamt nur knapp 7.000 FCEV verkauft wurden. Mittelfristig werden kaum neue Modelle hinzukommen. Die meisten deutschen Erstausrüster (OEM) haben FCEV entweder ganz aufgegeben oder planen höchstens ein Derivat in Kleinserie einzuführen. Aus Hersteller-Sicht konkurrieren FCEV nämlich nicht nur mit Elektroautos, sondern auch mit Plug-in-Hybriden und sogar 48V-Mildhybrid-Systemen um immer knapper werdende Entwicklungsbudgets. Die Herausforderung, die ohnehin schon schwierige Symbiose von konventionellen und alternativen Antriebssträngen zusätzlich um FCEV zu ergänzen, ist den meisten OEM schlicht zu teuer. Zuletzt verkündete daher auch Mercedes, dass der erst 2019 eingeführte GLC F-Cell wohl ohne Nachfolger bleiben wird.


Neue Impulse kommen einzig aus Asien


„Neue Impulse, die Brennstoffzelle in der Breite zu etablieren, kommen vor allem aus Asien“, sagt Andreas Radics, geschäftsführender Partner bei Berylls Strategy Advisors. So planen Toyota und Hyundai bis 2030 jährlich 500.000 FCEV allein für den Einsatz in PKW zu produzieren. Erst kürzlich meldete Toyota zudem die Gründung eines Joint-Ventures mit vier in China lokal ansässigen OEM zur Herstellung von Brennstoffzellen für Nutzfahrzeuge.


Die Brennstoffzelltechnologie ist vielfach erprobt und insbesondere im Nutzfahrzeugbereich schon gut etabliert. Nach Angaben des US-Energieministeriums sind allein in den USA etwa 20.000 wasserstoffbetriebene Gabelstapler im Einsatz. Der zum US-Konzern Paccar gehörende Nutzfahrzeughersteller Kenworth nutzt in wechselnder Kooperation mit dem kanadischen Brennstoffzellenhersteller Ballard und Toyota bereits Testflotten kommerziell. In der Schweiz plant die private Initiative H2 Mobilität bis zum Jahr 2025 rund 1.600 mit Brennstoffzellen ausgerüstete LKW in Betrieb zu nehmen. Und das mit über 700 Mio. USD finanzierte US-amerikanische Startup Nikola sieht für das Jahr 2021 die Markteinführungen von Brennstoffzellen betriebenen LKW für den Fernverkehr vor.


Im Nutzfahrzeugbereich sind bestimmte Anwendungsfälle bereits mittelfristig wirtschaftlich


Der Schweizer Initiative H2 Mobilität gehören neben dem Einzelhändler Coop auch Tankstellenbetreiber und Logistikunternehmen an. Das Konsortium bündelt somit alle nötigen Kompetenzen von der Erzeugung und Betankung bis zum Betreiben der LKW. In Los Angeles liefert Toyota neben den Brennstoffzellen für den Antrieb zudem stationäre Systeme. „Diese Bündelung erlaubt eine gesamtwirtschaftliche positive Bilanz, in der sich der Anwendungsfall als Ganzes mittelfristig ohne Subventionen trägt. Ein solcher Ansatz ist überall da übertragbar, wo sich Regelverkehre ergeben“, erklärt Radics.


Aber selbst im logistischen Fernverkehr fahren inzwischen viele LKW entlang fixer Routen – z.B. auch die sogenannten Milkruns, welche die Teileversorgung der OEM sicherstellen. Vor kurzem haben Hyundai und der amerikanische LKW-Motorenhersteller Cummins ein Abkommen geschlossen, um gemeinsam Brennstoffzellantriebe zu entwickeln. Hyundai will dabei sein Wissen um die Brennstoffzellen einbringen, Cummins das Know-how rund um den Antriebsstrang. Zunächst wird der Fokus auf den nordamerikanischen Automarkt gelegt und beide Partner werden die Brennstoffzellen nicht nur für den Einsatz in Autos entwickeln, sondern auch für stationäre Systeme, etwa für Notstromversorgungen.


„Voraussichtlich werden nur wenige OEM in eine eigene FCEV-Technologie investieren. Der Großteil der Antriebseinheiten wird von spezialisierten Herstellern ganzer Brennstoffzellensysteme kommen“, sagt Radics. „Im LKW-Bereich ist es heute schon üblich, dass OEM auf eine Mischung aus Eigenentwicklungen und zugekauften Antriebssystemen setzen. Dies ermöglicht eine Volumenbündelung auf nur wenige Systeme bei entsprechend geringeren Entwicklungskosten für den einzelnen Abnehmer“, so Radics weiter. Hersteller wie Ballard, SHPT, Doosan oder Bosch schaffen auf diese Weise branchenübergreifende Skalen und kombinieren Kompetenzen und Technologien über ein breites Spektrum von Anwendungen. Selbst Toyota und Hyundai legen ihre Systeme so aus, dass sie in PKW und LKW gleichermaßen zum Einsatz kommen. Auch das von Kenworth verwendete System besteht aus zwei Einheiten des Mirai-Systems. Und das nicht ohne Grund, denn China, Korea und Japan streben langfristig klar den Einsatz von Brennstoffzellen im PKW an.


In Asien werden private Initiativen durch massive staatliche Investitionen ergänzt


Derzeit gibt es global nicht mehr als 400 Wasserstoff-Tankstellen. Japan verfügt mit 100 Stationen über das weltweit größte Netzwerk an H2-Zapfsäulen. Es folgen Deutschland mit 90 und der US-amerikanische Bundesstaat Kalifornien mit etwa 50 Stationen; in Korea und China sind es derzeit nur ca. 20 an der Zahl. Korea, Japan und China planen bis zum Jahr 2030 jeweils rund 1.000 Wasserstoff-Tankstellen in Betrieb zu nehmen.


China, Japan und Korea eint der Versuch die Brennstoffzellentechnologie durch eine enge Verzahnung von Unternehmen und öffentlicher Hand auf eine breite industrielle Basis zu stellen. Anders als in Deutschland liegt der Schwerpunkt in allen drei Ländern jedoch auf dem PKW als zukünftigem Volumenträger. Hier zeigt sich deren Erfahrung im Zuge der Entwicklung von Lithium-Ionen-Batterien: Um die Auslastung von zeitweise leer stehenden Zellfabriken zu erhöhen, wurde lange Zeit der Einsatz von Lithium-Ionen-Batterien in stationären Anwendungen forciert – der Durchbruch kam jedoch erst mit dem Großserieneinsatz im PKW.


Deutschland setzt nicht auf den Massenmarkt für Brennstoffzellen


Nach Ansicht von Berylls Strategy Advisors erlebt die Automobilnation Deutschland damit ein weiteres Mal, wie eine maßgeblich in Deutschland entwickelte Technologie im Ausland industrialisiert wird. „Der von Deutschland eingeschlagene Weg, Brennstoffzellen in erster Linie für LKW, Schiff- und Luftfahrt zu nutzen, greift langfristig zu kurz. Länder wie China, Korea und Japan haben erkannt, dass der PKW zwar nicht die Anwendung der ersten Stunde, sehr wohl aber der zukünftige Volumenträger der Brennstoffzelltechnologie sein und ihr so zum Durchbruch verhelfen wird“, erklärt Radics.


„Die von den deutschen OEMs und der Bundesregierung verfolgte Strategie birgt somit die Gefahr, dass Deutschland zwar viel in die weitere Industrialisierung der Brennstoffzelle investiert, aber am entstehenden Massenmarkt nur ungenügend partizipiert“, resümiert Andreas Radics.