Systemstabilität im Jahr 2050: dena fordert langfristig ausgerichtete Weichenstellung


Die Diskussion um eine sichere und zuverlässige Energieversorgung fokussiere gegenwärtig zu sehr darauf, wie benötigte Energiemengen bereitgestellt werden können, sagt Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung. „Das greift zu kurz.“


Systemdienstleistungen sichern die Stromversorgung, indem sie Frequenz, Spannung und Leistungsbelastung im Netz regulieren. Der Betrieb des Systems müsse trotz steigender Komplexität reibungslos funktionieren, betont Kuhlmann. Die jetzt von der dena veröffentlichte Studie „Systemsicherheit 2050 – Systemdienstleistungen und Aspekte der Stabilität im zukünftigen Stromnetz“ macht deutlich, dass „technische und prozessuale Anpassungen“ für die Systemsicherheit angestoßen werden müssen.


Vier zentrale Aufgaben in Sachen Systemstabilität


Im Kern benennt die dena-Studie vier zentrale Entwicklungen für die Systemsicherheit. Im Bereich der Betriebsführung gehe es darum, die Komplexität zu beherrschen und die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren zu stärken. Beim Thema Spannungserhaltung stehe die Konkretisierung der Anforderungen und die Erschließung von Blindleistungsquellen im Blickpunkt. Eine dritte Herausforderung stellt der Netzwiederaufbau dar, hier seien vorhandene Fähigkeiten zu nutzen und Konzepte weiterzuentwickeln. Im Bereich von Frequenzhaltung und -stabilität schließlich mussten Umrichter ausgereizt und weiterentwickelt werden.


Eine besondere Herausforderung ergebe sich durch die lange Nutzungsdauer von Anlagen im Stromnetz. „Damit sichergestellt ist, dass Anlagen, die in den kommenden Jahren ans Netz gehen, die Fähigkeiten für eine zukünftige Systemsicherheit mitbringen, müssen technische Vorgaben und regulatorische Rahmenbedingungen vorausschauend definiert werden“, betont Kuhlmann.


„System Splits“: Erheblicher zusätzlicher Bedarf an Momentanreserve


Gegenwärtig werden Systemdienstleistungen im Wesentlichen durch thermische Großkraftwerke bereitgestellt, „obwohl auch dezentrale Erzeugungsanlagen, Verbraucher und Speicher technisch in der Lage wären, viele Aufgaben zur Gewährleistung der Systemsicherheit zu übernehmen“, wie die dena festhält. Das deckt sich mit der Erkenntnissen mehrerer Forschungsprojekte, die sich jüngst mit der Frage auseinandergesetzt haben, wie die dezentralen Energien ihren Beitrag etwa im Bereich der Bereitstellung von Redispatch-Services leisten können. So wurden im Rahmen von Sinteg die Plattformen der Teilprojekte C/sells und enera gekoppelt, um zu demonstrieren, wie Transportengpässe im Stromnetz durch den Einsatz regenerativer Kapazitäten und Energiespeichern behoben werden können.


Um das Potenzial erneuerbarer Energien und anderer Netznutzer zur Gewährleistung der Systemsicherheit nutzen zu können, sei die Optimierung von Koordinationsprozessen zwischen Netzbetreibern sowie zwischen Netz- und Anlagenbetreibern besonders wichtig, betont die dena. Die Studie zeigt, dass dezentrale Anlagen in den Verteilnetzen das Potenzial haben, 2050 „große Teile“ des stationären Blindleistungsbedarfs der Übertragungsnetze zu decken, wenn sie dafür nötige technische Anforderungen erfüllen und entsprechende Koordinationsprozesse etabliert werden.


Systemdienstleistungen durch Regeln und Anreize stärken


Darüber hinaus zeigt die neue dena-Studie zusätzlich Bedarf bei der technischen Weiterentwicklung auf. „Für die Beherrschung von System-Splits, Extremereignisse, durch die das Energiesystem in den Notzustand gerät, wird z. B. in Zukunft ein erheblicher zusätzlicher Bedarf an Momentanreserve bestehen“, hebt die Energieagentur hervor. Dezentrale Erzeuger, Speicher und Lasten könnten diese liefern, müssten dazu aber mit netzbildenden Umrichtern ausgestattet werden.


Bei vielen Systemdienstleistungen seien neue Netznutzer wie Erzeuger, Verbraucher und Speicher weder durch technische Vorschriften verpflichtet, sich an der Bereitstellung von Systemdienstleistungen zu beteiligen, noch erhielten sie durch den aktuellen regulatorischen Rahmen ausreichend wirtschaftliche Anreize. Durch die Strombinnenmarkt-Richtlinie des Clean Energy Package (CEP) werden die Mitgliedsstaaten veranlasst, bis Jahresende die Beschaffung sogenannter nicht-frequenzgebundener Systemdienstleistungen auf den Prüfstand zu stellen. Der Fokus richtet sich dabei allerdings auf das heutige Stromsystem. Die dena-Studie hält fest, dass die Weiterentwicklung von wirtschaftlichen Anreizen und Anschlussregelungen indes nicht nur aktuelle Herausforderungen, sondern auch die Bedarfe 2050 in den Blick nehmen muss.


Plattform Systemdienstleistungen soll Brücke von Technik zu Politik schlagen


Um die Weiterentwicklung von Systemdienstleistungen voranzutreiben, hat die dena die Plattform Systemdienstleistungen initiiert. Die Plattform verstehe sich als Bindeglied zwischen Marktakteuren (Netzbetreiber, Anlagenbetreiber, Hersteller etc.), Behörden, Politik und Fachöffentlichkeit, heißt es. Im Themenfeld Systemdienstleistungen werden Herausforderungen und Lösungsansätze vor deren technischem Hintergrund analysiert und hinsichtlich ihrer ökonomischen und gesellschaftlichen Konsequenzen bewertet. Die stakeholder-übergreifenden Diskussionen hätten das Ziel, eine „Brücke von technischen Themen zu politischen Themen zu schlagen“.