OVG stoppt Einbauverpflichtung für Smart Meter: BSI zeigt sich überrascht – bne fühlt sich bestätigt


Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht in Münster hat eine Verpflichtung zum Einbau von intelligenten Stromzählern vorerst gestoppt. Laut OVG ist eine Verfügung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) mit Sitz in Bonn voraussichtlich rechtswidrig, wie das Gericht am vergangenen Freitag mitteilte. Die Entscheidung fiel in einem Eilverfahren. Das Hauptsacheverfahren ist noch am Verwaltungsgericht Köln anhängig (Az.: 21 B 1162/20, 9 L 663/20, VG Köln).


Smarte Stromzähler sind ein wichtiger Baustein in der Energiepolitik in Deutschland. Damit können nicht nur die Zählerstände automatisch digital und verschlüsselt an die Stromerzeuger ermittelt werden. Denkbar ist auch eine Steuerung des Stromverbrauchs je nach Versorgungslage. Bis zum Jahr 2032 sollen nach den gesetzlichen Bestimmungen zur Energiewende alle analogen Stromzähler durch digitale Stromzähler ersetzt werden. Dafür ist eine Lizenzierung der neuartigen Stromzähler durch das BSI notwendig, damit Hacker nicht über die vernetzten Zähler die Stromversorgung lahmlegen können.


Bundesweit hatte die für den Start des Smart-Meter-Rollouts notwendige Lizenzierungsentscheidung aus Bonn die Pflicht ausgelöst, Messstellen von bestimmten Herstellern zu verbauen. Dagegen hatte ein Unternehmen aus Aachen geklagt und vor dem OVG Recht bekommen. Die Firma vertreibt andere Messsysteme und wäre auf diesen Produkten sitzen geblieben.


Hersteller aus Aachen bekommt vor dem Oberverwaltungsgericht Recht


Das BSI zeigte sich überrascht von der Entscheidung. Die Hauptsacheentscheidung stehe noch aus. „Das BSI wird daher die Entscheidungsgründe des OVG eingehend prüfen und hofft, die Bedenken des OVG im Hauptsacheverfahren umfassend entkräften zu können“, teilte eine Sprecherin mit.


Das OVG ist der Meinung, die am Markt verfügbaren intelligenten Messsysteme genügten nicht den gesetzlichen Anforderungen. Sie seien nicht wie vorgeschrieben auf geltende Anforderungen zur technischen Zusammenarbeit mit anderen Systemen hin zertifiziert worden. „Diese Messsysteme könnten auch nicht zertifiziert werden, weil sie die Interoperabilitätsanforderungen nicht erfüllten.“


Dass die Geräte den Anforderungen der Anlage VII der Technischen Richtlinie TR-03109-1 des BSI genügten, reiche nicht, heißt es weiter. Die Anlage VII sei nicht formell ordnungsgemäß zustande gekommen, weil die vorgeschriebene Anhörung des Ausschusses für Gateway-Standardisierung nicht erfolgt sei. Die Anlage VII sei zudem materiell rechtswidrig, weil sie hinsichtlich der Interoperabilitätsanforderungen hinter den gesetzlich normierten Mindestanforderungen zurückbleibe. Bestimmte Funktionalitäten, die intelligente Messsysteme nach dem Messstellenbetriebsgesetz zwingend erfüllen müssten, sehe die Anlage VII nicht vor, heißt es beim OVG. Dies habe unter anderem zur Konsequenz, dass Betreiber von Stromerzeugungsanlagen, die nach dem Gesetz mit intelligenten Messsystemen auszurüsten seien, nicht ausgestattet werden könnten.


Richter: Gesetzliche Mindestanforderungen unterschritten


Die dem BSI zustehende Kompetenz, technische Richtlinien entsprechend dem technischen Fortschritt abzuändern, gehe nicht so weit, dadurch gesetzlich festgelegte Mindestanforderungen zu unterschreiten. Seien die dortigen Mindestanforderungen nicht erfüllbar, müsse der Gesetzgeber tätig werden, heißt es zur Begründung weiter. Beim OVG in Münster sind noch rund 50 vergleichbare Beschwerden von Messstellenbetreibern, darunter mehrere Stadtwerke, anhängig.


Der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (bne) sieht sich in seiner Einschätzung durch den Eilbeschluss bestätigt. „Die bisher vom BSI zertifizierten Smart-Meter-Gateways (SMGW) erfüllen nicht die gesetzlichen Anforderungen – und treffen vor allem nicht die Anforderungen des Marktes und die Wünsche der Kunden“, kommentierte bne-Geschäftsführer Robert Busch. Das BSI habe die Messsysteme der ersten Generation nur auf wenige Funktionen bezogen zertifiziert, so dass diese SMGW kaum mehr Messdaten liefern könnten als bisher genutzte analoge Zähler.


Ohne geeignete intelligente Messsysteme fehlten dem Energiemarkt wichtige technische Voraussetzungen für die Entwicklung und Umsetzung von neuen Geschäftsmodellen und für die Erreichung der Klimaschutzschutzziele. Dabei gebe es längst freie (nicht BSI-zertifizierte) Messsysteme, die vergleichbare Anforderungen zu Sicherheit, Eichrecht und Datenschutz erfüllten und den notwendigen Standards entsprächen. Diese Messsysteme brächten schon jetzt jene Funktionen und Messwerte in der Auflösung mit, die für aktuelle und zukünftigeGeschäftsmodelle notwendig sind.


bne fordert „strukturelle und prozessuale Abrüstung“


„Es ist schade, dass erst ein Gerichtsurteil knapp fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende den von an Anfang an verkorksten Prozess stoppen muss“, sagt Busch. „Der im Messtellenbetriebsgesetz (MsbG) angelegte Zertifizierungsprozess ist ist ein strukturell überfrachtetes Desaster – er ist zeitraubend und erstickt Innovationen.“ Wenn Deutschland seine Führungsrolle bei der Digitalisierung der Energiewende wieder zurückholen wolle, müsse ein schnellerer und besserer Weg zur Wiedererlangung der Innovationsfähigkeit eingeschlagen werden. Das Gericht habe zu Recht gesehen, dass der verspätete Smart-Meter-Rollout in der vorliegenden Form zu wenig kann und Innovationen ausschließt. Er erfülle nicht einmal gesetzlichen Mindestvorgaben für Funktionalität.


„Strukturelle und prozessuale Abrüstung ist nun das Gebot. Um die Innovationsfähigkeit des Marktes nicht zu ersticken, muss wieder gelten: So viel Regulierung wie nötig, aber so wenig wie möglich“, fordert Busch. Hier werde nun ein wirklich technologieoffener Ansatz notwendig, um die Zukunft für moderne leistungsfähige und damit marktgerechte Digitalisierungslösungen zu sichern.